alle – 07.08.2024

Verkehrschaos vor mündlicher Verhandlung: Finanzgericht muss auf Prozessbevollmächtigten warten

Die Mühlen der Justiz mahlen ja gewöhnlich langsam - in einem neuen Fall des Bundesfinanzhofs (BFH) kann davon aber überhaupt nicht die Rede sein: Vorliegend ging es um die Frage, ob dem Niedersächsischen Finanzgericht (FG) ein Verfahrensfehler unterlaufen war, indem es eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite durchgeführt und die Klage verworfen hatte, obwohl der Bevollmächtigte kurz vor dem Verhandlungstermin telefonisch mitgeteilt hatte, dass er wegen einer Vollsperrung einer Autobahn mindestens eine halbe Stunde später kommen werde.

Das Gericht hatte die für 10:30 Uhr angesetzte Verhandlung  schon exakt 25 Minuten später eröffnet (um 10:55 Uhr), sie weitere drei Minuten später geschlossen (um 10:58 Uhr) und um 11:00 Uhr das Urteil verkündet. Der Prozessbevollmächtigte dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als er um 11:05 Uhr bei Gericht erschien und von der erfolgten Urteilsverkündung erfuhr. Er zog für seinen Mandanten mit einer Beschwerde vor den BFH und rügte die Verletzung rechtlichen Gehörs.

Der BFH nahm nun einen solchen Verfahrensmangel an, hob das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zurück an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die mündliche Verhandlung war nach Auffassung des BFH verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit der Kläger durchgeführt worden.

Wird ein Gericht von einem Prozessbeteiligten oder -bevollmächtigten während der Anreise zum Gerichtstermin telefonisch darüber benachrichtigt, dass er sich verspäten werde und werden der Grund der Verspätung und das fehlende Verschulden hieran glaubhaft gemacht, muss das Gericht hierauf Rücksicht nehmen und mit dem Beginn der mündlichen Verhandlung warten. Ein außergewöhnlich ausgedehnter Stau - wie im vorliegenden Fall - kann dabei als unverschuldete Verzögerung zu werten sein.

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